Selektive Krebswirkstoffe in der Pipeline.
Peptid-Wirkstoff-Konjugate (PDCs) rücken zunehmend in den Fokus der Krebsforschung, da sie das Antikrebsmittel gezielt (targeted) im Tumorgewebe freisetzen und so anderes Gewebe weniger belasten. Ähnlich wie in den schon etablierten Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADCs) weist der Peptidteil eine hohe Affinität für krebsassoziierte Zelloberflächenrezeptoren auf, was sie zu vielversprechenden Kandidaten für eine selektive Krebstherapie, besonders von soliden Tumoren, macht. Auch in pharmakologischer und finanzieller Hinsicht erweisen sich die PDCs als gute Alternative zu komplexeren Verbindungen, wie monoklonalen Antikörpern. Sie sind reiner und billiger herzustellen, besser reproduzierbar und verteilen sich besser im Gewebe. Chemiker des IPB und der Universität Havanna haben jüngst verschiedene PDCs entwickelt, indem sie neuartige Analoga des Antikrebswirkstoffs Tubulysin, die Tubugis, mit dem Peptidliganden Bombesin konjugierten.
Tubugis sind Tetrapeptide mit ungewöhnlichen Resten, die sehr zelltoxisch sind und den Abbau der Mikrotubuli in sich teilenden (Krebs-) Zellen bewirken und damit den programmierten Zelltod einleiten. Ihre zytotoxische Wirkung in bereits sehr geringen nano- bis picomolaren Konzentrationen machen sie zu herausragenden Kandidaten für zukünftige Antikrebsmittel, vor allem als PDCs. Für die Bindung der Tubugis an die Bombesin-Peptidliganden haben die Hallenser Wissenschaftler mit Hilfe einer Festphasen-Multikomponenten-Peptidsynthese diese Tubulysin-Analoga hergestellt und zusätzlich mit einer konjugationsfreudigen Thiol-Gruppe ausgestattet. Diese peptid-bindenden Tubugis zeigten im Test an Zellkulturen eine unverändert starke antiproliferative Wirkung im nanomolaren Bereich. Die Thiolgruppe diente nachfolgend als Bindungsort für das Bombesin-Targeting-Peptid.
Bombesin ist ein Neuropeptid, das ursprünglich aus der Rotbauch-Unke (Bombina bombina) isoliert wurde. Es existiert in ähnlicher Struktur und Funktion auch bei Säugetieren als Gastrin-Releasing-Peptide. Bombesin-Verbindungen spielen in allen Organismen eine Rolle bei der Freisetzung des Peptidhormons Gastrin und der damit verbundenen Produktion von Magensäure. Die zugehörige Rezeptorfamilie birgt ein erhebliches therapeutisches Potenzial für die Krebsbehandlung. So wird beispielsweise der Gastrin-Releasing-Peptid-Rezeptor, der primäre Bombesin-Rezeptor beim Menschen, in den expandierenden Geweben von Brust-, Prostata-, Lungen- und Bauchspeicheldrüsentumoren vermehrt gebildet.
Die Bindung eines Bombesin-Wirkstoff-Konjugats an den Rezeptor könnte demnach dafür sorgen, dass Antikrebswirkstoffe selektiv ihr Ziel – das Tumorgewebe – erreichen und nur dort und nicht in gesunden Zellen ihre Toxizität entfalten. Mittels Multikomponentenreaktion haben die Hallenser Wissenschaftler verschiedene fluoreszenzmarkierte Bombesin-Derivate hergestellt, die mit unterschiedlich langen Fettsäureketten versehen waren. Die Gastrin-Rezeptor-vermittelte Internalisierung dieser Verbindungen in entartete Zellen wurde anschließend getestet. Dabei zeigten sich die lipidierten, mit einer C14-Fettsäurekette versehenen, Bombesin-Verbindungen als besonders internalisierungsfähig.
Die Verknüpfung der Bombesine mit den Tubugi-Antikrebswirkstoffen erfolgte dann über eine Disulfidbrücke an der zuvor eingefügten Thiol-Gruppe am Tubulysin-Grundgerüst. Alle resultierenden Bombesin-Tubugi-Konjugate wurden von den Hallenser Wissenschaftlern auf ihre proliferationshemmenden Aktivitäten an verschiedenen Krebszelllinien untersucht, die den Bombesinrezeptor in unterschiedlichen Mengen exprimieren. Es fanden sich vielversprechende Kandidaten mit starken antiproliferativen Aktivitäten. Die Selektivität dieser Verbindungen für Krebszellen war zwar durchaus gut, aber aus Sicht der Forscher noch nicht ausreichend, um für therapeutische Anwendungen in Betracht gezogen werden zu können. Diese zu geringe Selektivität der Bombesin-Tubugi-Konjugate könnte möglicherweise darin begründet liegen, dass der Lipidschwanz am Bombesin auch eine konkurrierende unspezifische Internalisierung des PDCs ohne die für eine Selektivität erforderliche Rezeptorbindung fördert, mutmaßen die Wissenschaftler. Die beiden, für sich genommen, positiven Modifikationen (Lipidierung und Targeting-Peptid) führen also nicht zu Synergieeffekten, sondern verringern die Wirkung des jeweils anderen. Weitere Synthesen und Studien sind demnach erforderlich, um tiefere Einblicke in den Selektivitätsmechanismus von Bombesin-Peptiden als Targeting-Moleküle und das Potenzial dieser neuen Konjugatklasse für die gezielte Krebstherapie zu gewinnen. Dennoch sollten Bombesin-Derivate, die bisher nur im Bereich der Krebsdiagnostik erfolgreich eingesetzt wurden, auch beim Wirkstoff-Targeting im Auge behalten werden und im Fokus der pharmazeutischen Weiterentwicklungen stehen, so das Fazit des Forscherteams. Denn was eine gezielte molekulare Diagnose erlaubt, sollte auch eine gezielte Behandlung ermöglichen.