Neue Sonden für die Tumorfrüherkennung
IPB-Chemiker und Partner der MLU und der Hochschule Merseburg haben mittels Isonitril-basierter Multikomponentenreaktion eine Reihe von schaltbaren Rhodamin-Nitroxid-Fluoreszenzsonden hergestellt. Die synthetisierten Verbindungen können als mitochondrienspezifische Sonden zum Nachweis reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) in lebenden Zellen eingesetzt werden. Eine übermäßige Bildung von ROS verursacht Zellschäden, die zu oxidativem Stress und Zelltod führen und in der Summe den Startschuss zu neurodegenerativen Erkrankungen oder Bluthochdruck geben. Allem voran sind es aber Krebszellen, die sich aufgrund ihrer hohen Stoffwechselaktivität durch eine erhöhte ROS-Produktion auszeichnen. Etwa 90 Prozent der hier gebildeten reaktiven Sauerstoffspezies stammen aus den Mitochondrien. Die von den Hallenser Chemikern entworfene Sonde ist daher besonders geeignet, Krebszellen ausfindig zu machen.
Der eingesetzte Farbstoff Rhodamin ist aus der Fluoreszenzmikroskopie bekannt. Als lipophile kationische Substanz durchwandert Rhodamin Zellmembranen und reichert sich in den Mitochondrien an. Seine Fluoreszenzleuchtkraft ist ROS-abhängig; je mehr reaktive Sauerstoffspezies gebildet werden, umso intensiver leuchtet er. Weil aber auch nicht-entartete Zellen in gewissem Maße ROS-Verbindungen produzieren, wäre Rhodamin allein wenig geeignet, um Krebszellen von normalen Zellen zu unterscheiden.
Aus diesem Grund haben die Hallenser Chemiker in unmittelbarer Nähe zum Farbstoff ein Nitroxidradikal der sogenannten TEMPO-Gruppe (ein 2,2,6,6-Tetramethylpiperidinyloxylnitroxidradikal) eingefügt. Nitroxide sind in der Lage, den angeregten Zustand von Fluoreszenzmarkern wieder zu inaktivieren. Das Double aus Rhodamin und TEMPO macht die Sonde zu einer schaltbaren, also im Normalzustand wenig bis gar nicht fluoreszierenden Sonde. Bei nicht-entarteten Zellen, die wenig ROS produzieren, leuchtet die Sonde also nicht. In reichlich ROS-produzierenden Krebszellen hingegen, wird die TEMPO-Gruppe langsam geschädigt und das Potential des Nitroxids reicht nicht mehr aus, um den Fluoreszenzmarker dauerhaft zu quenchen. Der entfaltet folglich seine Leuchtkraft und markiert die Tumorzellen.
Aufgrund eines ungepaarten delokalisierten Elektrons kann das TEMPO-Radikal zudem als Spinmarker in der Elektronenspinresonanz(ESR) -Spektroskopie angewendet werden – eine leistungsstarke Nachweismethode, die auf der Analyse der Wechselwirkung von ungepaarten Elektronen mit Mikrowellenstrahlung in Gegenwart eines Magnetfeldes beruht. ESR-Spektroskopie bietet vielfache Anwendungsmöglichkeiten, beispielsweise in der Strukturermittlung von Makromolekülen oder dem Nachweis von freien Radikalen in Geweben. Die Einbindung von TEMPO in den Rhodaminmarker macht die Verbindung zu einer Doppelmesssonde, die in Analysen mit unterschiedlicher Funktionsweise eingesetzt werden kann.
Die Stimmigkeit ihres Ansatzes haben die Hallenser Chemiker anhand von nicht-entarteten Fibroblastenzelllinien und Prostatakrebszelllinien überprüft. Sowohl in einer Durchflusszytometrieanalyse als auch mit Fluoreszenzmikroskopie der Zellkulturen konnte gezeigt werden, dass die Rhodamin-TEMPO-Sonde nur in den Krebszellen fluoreszierte, während die niedrigen ROS-Level in den normalen Zellen nicht ausreichten, um die Sperre der TEMPO-Gruppe zu überwinden.
Die Rhodamin-Nitroxid-Sonden besitzen demnach großes Potential, künftig in der Krebsfrüherkennung und in der therapeutischen Überwachung eingesetzt zu werden, so das Fazit der Wissenschaftler. Erste Sicherheitstests ergaben zudem, dass die Sonden in den verwendeten Konzentrationen weder bei normalen noch bei Tumorzellen einen signifikanten Einfluss auf Zellwachstum und Mitochondrienfunktion ausüben. Ihr Einsatz zur Früherkennung wäre also auf toxikologischer Ebene unbedenklich. Einmal mehr hat sich die Multikomponentenreaktion als elegantes Syntheseverfahren zur Entwicklung neuer Sonden erwiesen. Weitere Modifikationen können mit diesem Syntheseverfahren einfach eingefügt werden, was neue Anwendungsbereiche in der gezielten Bildgebung eröffnet.

