+++ Newsticker Wissenschaft #107 +++ Analyseverfahren +++

Qualitätsprüfung für neue Impfstoffkandidaten.

Knapp anderthalb Jahre ist es her, dass unsere Synthesechemiker/innen gemeinsam mit kubanischen Partnern neuartige Glykokonjugate herstellten, die als neue Impfstoffe gegen die bakteriellen Erreger von Lungen- und Hirnhautentzündung eingesetzt werden können. Nun haben die Wissenschaftler eine Analysemethode entwickelt, mit der man die potentiellen Impfstoffkandidaten einer ausgereiften Qualitätskontrolle unterziehen kann. Der nächste Schritt in Richtung Anwendung ist damit getan.

Pneumokokken und Meningokokken rufen schwerwiegende Erkrankungen hervor und können besonders bei Kleinkindern und immungeschwächten Personen lebensbedrohliche Entzündungsreaktionen auslösen. Impfstoffe für diese Patientengruppe wirken jedoch nicht bei bestimmten Manifestationen und auch nicht gegen alle Varianten der Erreger. Sie werden daher beständig weiterentwickelt. Der Weg der Impfstoffoptimierung ist allerdings reich an Klippen und Stolpersteinen. Hürde Nummer 1: Die Erreger verkapseln sich mit einer dicken Schutzhülle aus verzweigten Ketten von Zuckermolekülen. Diese Polysaccharide wirken im Organismus eher als schwache Antigene. Im Gegensatz zu proteinbasierten Antigenen lösen die Kapselpolysaccharide nur die Mechanismen der angeborenen Immunantwort aus. Sie sind nicht in der Lage, T-Helferzellen und damit den Weg der erworbenen Immunität zu aktivieren. Eine T-zellbasierte Stimulation der B-Lymphozyten und die Produktion von erregerspezifischen Antikörpern bleiben aus. Es entsteht keine Langzeitimmunität. Dieses Szenario spielt sich sowohl bei Infektion mit den Erregern ab als auch bei einer Impfung mit Kapselpolysacchariden als alleiniges immunauslösendes Agens.

Erst eine Bindung der Kapselpolysaccharide an geeignete Trägerproteine befähigt einen Pneumokokken-Impfstoff zur T-Zell-Aktivierung und damit zur Produktion von verschiedenen Antikörpern, die sich sowohl gegen das Trägerprotein als auch gegen die Kapselmoleküle des Erregers richten. Derartige konjugierte Impfstoffe sind seit etwa 20 Jahren auf dem Markt. Zurzeit werden Tetanus- und Diphterietoxoide als geeignete Träger-Proteine bei verschiedenen Impfungen – nicht nur gegen Pneumokokken – eingesetzt. Das aber birgt die Gefahr der Epitop-Suppression – eine Abschwächung der spezifischen Anti-Polysaccharid-Immunreaktion durch die im Organismus bereits vorhandenen Antikörper gegen die Träger-Proteine, die durch frühere Impfungen gegen Pneumokokken und andere Krankheitserreger gebildet wurden.

Die zweite große Herausforderung ist die Variabilität des Erregers. Pneumokokken bilden weltweit über 90 verschiedene Serotypen aus, die sich in der Ausstattung ihrer Kapselpolysaccharide leicht unterscheiden. Da die Gedächtnisfunktion der erworbenen Immunantwort bei Infektion mit diesen Erregern natürlicherweise nicht aktiviert wird, gilt jeder einzelne Serotyp als neuer Krankheitserreger, der bei erneuter Infektion nach den Mechanismen der angeborenen Immunantwort immer wieder neu bekämpft wird. Um einen guten Impfschutz gegen mehrere Serotypen zu erzeugen, sind die eingesetzten Impfstoffe immer eine Mischung aus mehreren Kapselpolysaccharid-Antigenen. Die neueste Generation an Pneumokokken-Vakzinen enthält bis zu 20 verschiedene Kapselpolysaccharid-Antigene der gängigsten Serotypen. Jedes einzelne Antigen ist an sein eigenes Trägerprotein gekoppelt, was die Epitop-Suppression verstärkt.

Eine Lösung zur Minderung der Epitop-Suppression wäre die Bindung von verschiedenen Kapselpolysacchariden an ein und dasselbe Trägerprotein – und genau das ist dem Halle-Havanna-Team im Herbst 2020 gelungen. In ihrer Publikation in Bioconjugate Chemistry der American Chemical Society berichten sie über die erfolgreiche Kopplung von zwei verschiedenen Pneumokokken-Polysaccharid-Antigenen an ein einziges Tetanustoxoid-Trägerprotein mittels Multikomponentenreaktion. Das entstandene bivalente Glykokonjugat löste bei Kaninchen zuverlässig eine T-Zell-Immunantwort mit entsprechender Produktion von funktionellen spezifischen Antikörpern gegen beide Polysaccharid-Antigene aus. Ein einzelnes Trägerprotein war demnach ausreichend, um im Zuge der Anti-Träger-Antikörperproduktion auch die Bildung von Antikörpern gegen beide Kapselpolysaccharide zu initiieren.

In ihrer aktuellen Publikation im Journal of Pharmaceutical and Biomedical Analysis haben die Autoren nun Kapselpolysaccharide von fünf verschiedenen Serotypen von Streptococcus pneumoniae und von vier verschiedenen Neisseria meningitidis-Serotypen miteinander kombiniert. Im Ergebnis erhielten sie acht verschiedene bivalente Glykokonjugate, die entweder zwei verschiedene Pneumokokken-Polysaccharide enthielten oder aber aus einer Kombination von jeweils einem Pneumokokken- und einem Meningokokken-Antigen bestanden. Bei einem guten Impfstoffpräparat gegen beide Erreger würden alle der acht Glykokonjugate (und wahrscheinlich noch weitere) zum Einsatz kommen – es stellte sich also die Frage: Wie kann man kontrollieren, ob das Verhältnis der einzelnen Kapselpolysaccharid-Antigene zueinander ein ausgewogenes ist? Wie kann man weitere Parameter analysieren, wie das Verhältnis von Polysaccharid zu Trägerprotein, den Anteil von konjugierten und nichtkonjugierten Kapselpolysacchariden oder auch die Existenz von unerwünschten Verunreinigungen?

Herkömmliche Methoden wie die Massenspektrometrie erwiesen sich als ungeeignet für die Analyse der komplex strukturierten bivalenten Glykokonjugate. Mit quantitativer NMR hingegen konnten die Wissenschaftler Signale detektieren, die charakteristisch waren für die einzelnen Polysaccharidtypen. So konnte die Art und Menge der verschiedenen Kapselpolysaccharide im Impfstoffgemisch erfasst werden. Den Anteil an freiem Trägerprotein und die Quantifizierung von Gesamtprotein und Kohlenhydraten ermittelten die Chemiker mit Hilfe von HPLC und spektrophotometrischen Methoden. So konnten am Ende alle Hauptbestandteile der Konjugate qualitativ und quantitativ bestimmt werden.

Im Ergebnis, so die Autoren, war das Verhältnis zwischen den serotypischen Polysaccharid-Antigenen im Impfstoffgemisch ausgewogen, sodass man nach der Impfung von einer gleichmäßigen Antikörperproduktion gegen alle Serotypen bzw. gegen beide Erreger ausgehen kann. Auch das Verhältnis von Kapselpolysacchariden und Trägerproteinen entsprach den Vorgaben der WHO für kommerzielle Konjugatimpfstoffe. Bei zu wenig Trägerprotein, mutmaßen die Wissenschaftler, könnten die T-Zell-Aktivierung und damit die generelle Antikörperproduktion nur unzureichend erfolgen. Bei zu viel Trägerprotein hingegen würden die T-Zellen wahrscheinlich zwar gut aktiviert werden, es könnten aber vorrangig Anti-Träger-Antikörper gebildet werden und nicht die gewünschten Anti-Polysaccharid-Antikörper.

Multikomponentenreaktionen, so das Fazit, erweisen sich als vielversprechender Ansatz für die schnelle und kostengünstige Entwicklung von komplexen multivalenten Impfstoffen mit weniger Konjugations- und Reinigungsschritten. Die anschließende Qualitätskontrolle mit qNMR eignet sich hervorragend zur Analyse und Charakterisierung der neuartigen Glykokonjugate.

Originalpublikation:
Ana R. Humpierre, Abel Zanuy, Mirelys Saenz , Aldrin V Vasco, Yanira Méndez, Bernhard Westermann, Félix Cardoso, Lauren Quintero, Darielys Santana, Vicente Verez, Yury Valdés, Daniel G. Rivera & Raine Garrido. Quantitative NMR for the structural analysis of novel bivalent glycoconjugates as vaccine candidates. J. Pharm. Biomed. Anal. 214:114721. doi: 10.1016/j.jpba.2022.114721.

Diese Seite wurde zuletzt am 19 Mar 2025 geändert.