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Taxonomie mit Chemie: Stammbaum der Lebermoos-Metaboliten.

Die Charakterisierung und Klassifizierung von biologischen Arten ist ein grundlegender Bestandteil der Biodiversitätsforschung. In der integrativen Taxonomie werden dabei traditionelle, auf morphologischen Merkmalen basierende Vergleichsmethoden mit genetischen und biochemischen Analysen kombiniert. Während die DNA-Sequenzierung bei einer Vielzahl von Pflanzenarten bereits erfolgreich angewendet wurde, versagt sie dennoch bei bestimmten Gruppen, wie den Lebermoosen, deren Arten der Gattung Riccia beispielsweise schwer zu sequenzieren sind. Zudem besitzen die über 200 Riccia-Arten als typische thallöse Organismen nur wenige erkennbare morphologische Merkmale, was ihre taxonomische Bestimmung auch im klassischen Sinne erschwert. Eine schlüssige Phylogenie existiert demnach für diese Organismengruppe nicht. Für diese schwierig einzuordnenden taxonomischen Gruppen sind daher alternative Bestimmungsmethoden von großem Interesse.

IPB-Wissenschaftler und weitere Partner aus Deutschland und Kanada haben nun gezeigt, dass ein ungezielter Metabolomics-Ansatz als chemotaxonomische Methode geeignet ist, die Verwandtschaftsverhältnisse dieser kryptischen Arten aufzudecken. Dafür machten sie mittels Flüssigchromatographie und hochauflösender Massenspektrometrie Metabolitenbestandsaufnahmen von drei verschiedenen Riccia-Arten und einer Vergleichsart. In Kombination mit DNA-Marker-basierter Sequenzierung und hochauflösenden Bildgebungsverfahren konnten die Wissenschaftler 71 verschiedene Marker identifizieren, die eine erste taxonomische Einordnung der untersuchten Lebermoosarten erlaubte. Diese sogenannten chemophänetischen Marker wurden dabei als Verbindungen unterschiedlicher Komplexitätsebenen beschrieben, wie  Einzelmoleküle oder Substanzklassen. Allerdings, so das Fazit der Wissenschaftler, müssen analytische und bioinformatische Analysemethoden noch besser integriert werden, um die chemophänetischen Informationen auf verschiedenen Ebenen zu verknüpfen.

Die Chemotaxonomie klassifiziert biologische Arten und rekonstruiert ihren phylogenetischen Stammbaum mit Hilfe von chemophänetischen Markermolekülen. Die Methode basiert auf der Annahme, dass die meisten morphologisch definierten Arten, unabhängig von ihrer geografischen Herkunft und Ökologie, über ein konstantes Kernmetabolom verfügen. Man geht davon aus, dass robuste morphologische Eigenschaften mit chemischen Eigenheiten einhergehen. Die Chemotaxonomie wird seit fast 50 Jahren erfolgreich zur Einordnung von Gefäßpflanzen angewendet, bei Moosen hingegen eher selten durchgeführt. Dies liegt vor allem an der vergleichsweise großen Zahl unbekannter Moleküle in dieser Pflanzengruppe und auch daran, dass phylogenetisch charakteristische Stoffklassen wie die Phenole in Blüten von Gefäßpflanzen bei Moosen noch nicht identifiziert wurden.

Originalpublikation:
Kristian Peters, Kaitlyn L. Blatt-Janmaat, Natalia Tkach, Nicole M. van Dam & Steffen Neumann Untargeted Metabolomics for Integrative Taxonomy: Metabolomics, DNA Marker-Based Sequencing, and Phenotype Bioimaging. Plants 2023, 12(4), 881; https://doi.org/10.3390/plants12040881