Pflanzenforscher um Dr. Nico Dissmeyer, Leiter der unabhängigen Nachwuchsgruppe Proteinerkennung und –abbau, haben gemeinsam mit Wissenschaftlern aus der Schweiz eine neue Methode zur Gewinnung wertvoller Proteine aus Pflanzen entwickelt. Das Verfahren wurde unter dem Motto „Phänotyp nach Bedarf“ in Plant Physiology veröffentlicht.
Die Methode basiert auf der künstlichen Genfusion einer temperatursensitive Degron-Kassette (lt‑Degron) mit dem Gen für ein Wunschprotein. Die erzeugte Genfusion wurde in Arabidopsis thaliana Pflanzen exprimiert und unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt. Eine erhöhte Außentemperatur führte zur Destabilisierung des temperaturlabilen lt‑Degrons, das durch das Proteasom als fehlerhaft erkannt und mitsamt dem fusionierten Wunschprotein abgebaut wurde. Wenn die Umgebungstemperatur niedrig gehalten wird, kann sich das stabile Fusionsprotein anreichern.
 Dieses Verfahren wurde bereits 2016 von der Gruppe um Dr. Nico Dissmeyer etabliert. Die Wissenschaftler brachten eine Genfusion von lt-Degron mit der DNA-Sequenz eines wichtigen Regulators der Trichomentwicklung als Wunschprotein in eine Arabidopsis-Mutante ein, die generell keine Trichome ausbildet. Die Absenkung der Umgebungstemperatur auf 13°C führte zur Anreicherung des stabilen Fusionsproteins, was eine korrekte Trichombildung ermöglichte. Eine Temperatur von 29°C führte zur Destabilisierung des Fusionsproteins, damit zur Blockade der Trichomentwicklung und zu glatten, haarlosen Pflanzen. 
Das Besondere in der aktuellen Studie: Mit der Methode können durch diesen Temperaturshift auch zytotoxische Proteine produziert werden. Um das zu demonstrieren, haben die Pflanzenforscher das Gen der bakteriellen Ribonuklease ‚Barnase‘, eine unspezifische und hochtoxische RNAse, an das Gen des temperaturlabilen lt‑Degrons fusioniert. Die Fusion wurde unter einem Trichom-spezifischen Promotor in Arabidopsis Wildtyp-Pflanzen exprimiert. Diese entwickeln normalerweise reguläre Pflanzenhaare. Bei niedrigen Temperaturen lag die zytotoxische Proteinfusion stabil vor. Da die Trichomentwicklung durch die funktionsfähige Barnase offenbar gestört wurde, kam es zur Bildung von glatten, haarlosen Blättern. Bei Anzucht unter erhöhter Umgebungstemperatur erfolgte der Abbau des künstlich eingebrachten Zellgifts in den Trichomzellen. Folglich war die zytotoxische Wirkung ausgeschaltet und neu gebildete Blätter wiesen wieder reguläre Pflanzenhaare auf. Dieser Prozess konnte in ein und derselben Pflanze durch Temperaturänderungen sogar mehrfach umgeschaltet werden, sodass Blattneubildungen zunächst ohne, zwischenzeitlich mit und schlussendlich wieder frei von Trichomen auftraten.
Da bestimmte Pflanzenarten Trichome mit Drüsenfunktion, die sogenannten glandulären Trichome, entwickeln, wäre es nützlich die Methode von der Modellpflanze Arabidopsis auf diese Arten zu übertragen. Die glandulären Trichome bilden ein in sich geschlossenes Zellsystem und dienen der Speicherung verschiedener Stoffwechselprodukte, wie ätherische Öle und Insektenabwehrstoffe, sowie als Endlagerstätte toxischer Substanzen, zum Beispiel Schwermetalle. Glanduläre Trichome nehmen nur einen kleinen Teil des Blattes ein, können mit ihren gespeicherten Substanzen aber bis zu 15 % des Trockengewichts der Pflanze ausmachen. Pflanzen mit glandulären Trichomen und größerer Biomasse als Arabidopsis, wie Tabak- oder Tomatenpflanzen, wären sehr gut zur Produktion pharmazeutisch wertvoller Proteine geeignet. Zahlreiche zytotoxische Proteine werden derzeit aufgrund ihres Potenzials in der Krebstherapie untersucht.
Die Biosynthese von Proteinen in Pflanzen weist im Gegensatz zu bisherigen Methoden, die in Hefen und Zellkulturen durchgeführt werden, zahlreiche Vorteile auf: Die Anwendung des Verfahrens ist vergleichsweise einfach und eine Produktion des Wunschproteins über die Temperatur einstellbar. Ein Einsatz von exogenen Substanzen und induzierbaren Promotoren ist nicht nötig. Damit ist die Wahrscheinlichkeit einer ungleichmäßigen Proteinproduktion in der Pflanze verringert. Außerdem ist die Erzeugung von Proteinen mit pflanzenspezifischen Glykosilierungen und Proteinfaltungen denkbar, die nur in Eukaryoten erzielt werden können. Das lt‑Degron-Fusions-System könnte auch auf andere multizelluläre Organismen, wie Insekten und höhere Tiere, übertragen werden. Die Methode ist ebenfalls als potenzielles Werkzeug in der Genetik und Entwicklungsbiologie interessant, wo das gezielte Stilllegen von Gewebetypen bis heute als herausfordernd gilt.
Originalpublikation: 
 Frederik Faden, Stefan Mielke & Nico Dissmeyer, Modulating protein stability to switch toxic protein function on and off in living cells. Plant Physiology Epub ahead of print, doi: 10.1104/pp.18.01215. www.plantphysiol.org/content/early/2019/01/28/pp.18.01215.long
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