Dass die Pflanze zum Licht wächst, dass sie weiß, was ihr Hauptspross ist, oder dass sie Seitenwurzeln ausbildet – all diese Vorgänge und noch viele andere mehr sind abhängig vom Pflanzenhormon Auxin. In der Tat bewirken verschiedenste Auxinkonzentrationen in Zellen und Geweben der Pflanze eine solche Vielfalt an essentiellen Wachstums- und Entwicklungsprozessen, dass viele Forschungsgruppen ergründen wollen, wie Pflanzen das Auxinsignal interpretieren und in einen spezifischen Prozess umsetzen.
So auch Dr. Luz Irina Calderón Villalobos und KollegInnen der Forschungsgruppe Signalintegration am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie Halle (IPB). Sie beschäftigen sich mit Auxin als einem Paradebeispiel für ein Signalmolekül im Proteinabbau. In ihrer Arbeit untersuchten sie Unterschiede, die schon bei der Erkennung des Auxinsignals auf molekularer Ebene und unmittelbar nachfolgend auftreten, und konnten ihre Ergebnisse kürzlich in Nature Communications veröffentlichen (Winkler et al. Variation in auxin sensing guides AUX/IAA transcriptional repressor ubiquitylation and destruction. Nature Communications, 2017, doi: 10.1038/ncomms15706).
Damit sich eine Pflanzenzelle auf das Auxin-Signal hin teilt, ausdehnt oder differenziert, müssen AUX/IAA-Repressorproteine, die im Zellkern die Aktivierung von entsprechenden Genen verhindern, abgebaut werden. Dies geschieht durch die zelluläre Proteinabbaumaschinerie, das Ubiquitin-Proteasom-System. Dabei erkennt eine Ligase vom SCF-Typ mithilfe des Rezeptorproteins TIR1 einen AUX/IAA-Repressor als ihr Zielprotein, um ihn dann mit kleinen Markierungsproteinen, den sogenannten Ubiquitinen zu verknüpfen. Doch TIR1 und AUX/IAA interagieren nur miteinander, wenn die zellulären Auxin-Konzentrationen ansteigen. Denn Auxin wirkt hier wie ein molekularer Klebstoff, der beide Proteine sandwich-artig zu einem Auxin-Sensorkomplex verbindet. Nur auf das Auxinsignal hin tritt also die SCFTIR1-Ubiquitinligase in Aktion, die die AUX/IAAs rekrutiert und ubiquitiniert. Anschließend wird das ubiquitinierte AUX/IAA vom Proteasom erkannt und proteolytisch zerlegt. Ist der AUX/IAA-Repressor zerstört, wird die dadurch bedingte Genrepression aufgehoben und Auxin-Antwortgene können abgelesen werden.
Dieses allgemeine Prinzip der Auxin-Erkennung gilt zwar als gut aufgeklärt, doch die Variationsmöglichkeiten in diesem Vorgang sind reichlich und bisher noch unzureichend erforscht. Da Pflanzen mehrere verwandte TIR1-Rezeptorproteine und eine ganze Reihe ähnlicher AUX/IAA-Repressoren besitzen, sind vielfache Kombinationen für Auxin-Sensorkomplexe denkbar. In Arabidopsis beispielsweise gibt es neben besagtem TIR1 außerdem fünf Homologe, während die AUX/IAA-Repressorenfamilie 29 Mitglieder umfasst. Erlauben die vielen möglichen Auxin-Sensorkombinationen womöglich eine differenzierte Auxin-Erkennung, die in spezifische Auxinantworten mündet?
Dr. Luz Irina Calderón Villalobos und Team beabsichtigten dieser Frage auf den Grund zu gehen, indem sie sich zwei mögliche Auxin-Sensorkomplexe aus Arabidopsis vornahmen und diese hinsichtlich ihrer biochemischen Eigenschaften verglichen. Sie wählten Kombinationen aus TIR1 und je einem von zwei sehr ähnlichen AUX/IAAs, IAA6 und IAA19. Ihre Untersuchungen zeigen, dass der TIR1-IAA19 Sensorkomplex das Auxin mit höherer Affinität bindet als TIR1-IAA6.
Da unmittelbar nach der auxin-abhängigen Komplexbildung der beteiligte Repressor ubiquitiniert und abgebaut wird, analysierten sie auch die Unterschiede auf dieser Ebene. Dafür stellten die Hallenser WissenschaftlerInnen erstmals die Ubiquitinierung von AUX/IAAs im Reaktionsgefäß nach. Ein aufwändiges Unternehmen, da alle am Prozess beteiligten Enzyme und Proteine hergestellt und unter Erhalt ihrer Aktivität gereinigt werden mussten. Martin Winkler, Erstautor der Studie und Biochemiestudent der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, steckte sich dieses ehrgeizige Ziel und hat es im Rahmen seiner Masterarbeit am IPB erfolgreich umgesetzt. So konnte gezeigt werden, dass passend zur stärkeren Bindungsaffinität im TIR1-IAA19 Auxin-Sensorkomplex, ein SCFTIR1-Ligasekomplex nach Auxinzugabe IAA19 schneller und stärker mit Ubiquitinen versieht als IAA6. Dies wiederum scheint zu einem schnelleren Abbau des IAA19 im Vergleich zum IAA6 zu führen. Die ForscherInnen untermauern damit ihre These, dass die Affinität im Auxin-Sensorkomplex sehr wahrscheinlich die nachfolgenden Schritte im Signalweg direkt beeinflusst, was dann zu Unterschieden in der Auxin-Genaktivierung führen kann.
Zudem beleuchtet die Studie auch evolutionäre Aspekte der beiden sehr ähnlichen Repressorproteine, deren zugrundeliegenden Gene im Laufe der Landpflanzenentwicklung durch zufällige Genomverdopplungen entstanden sind. Diese Dopplungen müssen vorteilhaft gewesen sein, sodass sie erhalten blieben und die AUX/IAA-Genamilie expandierte. Die Ergebnisse für die zwei beispielhaft untersuchten Repressoren deuten darauf hin, dass IAA19 unverändert bleibt, wohingegen sein Duplikat IAA6 sich funktionell weiterentwickelt. Auf diesem Wege könnten Pflanzen im Laufe ihrer Evolution ein ganzes Spektrum an Auxin-Sensoren mit verschiedenen Eigenschaften etabliert haben, was ihnen erlaubt, verschiedenste Auxin-Inputs in konkrete Signal-Outputs und damit in konkrete Wachstums- und Entwicklungsprozesse zu übersetzen.
Die pflanzlichen Auxin-Sensoren sind die bisher am besten untersuchten Signalmolekül-Sensoren im regulierten Proteinabbau durch das Ubiquitin-Proteasom-System. Ähnlich funktionierende Komplexe kennt man bereits in Pflanzen, aber auch in Säugetieren. Hinzu kommt, dass bei der Erforschung und Behandlung von Krankheiten, wie beispielsweise bei bestimmten Arten von Krebs, die Erkennung von Proteinen durch Ubiqutinligasen eine wesentliche Rolle spielt. Durch kleine Moleküle die Interaktion zwischen Rezeptorprotein und abzubauendem Protein zu beeinflussen, kann helfen entsprechende Krankheiten zu erforschen oder sogar zu behandeln. Daher sind die Erkenntnisse aus dieser Veröffentlichung auch über die Pflanzenforschung hinaus aufschlussreich.