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Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie

PRESSEMITTEILUNG
Mit KI die Wirkungsweise von neuen Antikrebsmitteln vorhersagen

Pflanzen, Pilze und Bakterien produzieren eine Vielzahl an Wirkstoffen, die den Zellstoffwechsel, mit­unter bis zum Zelltod, verändern. Das macht sie zu aussichtsreichen Kandidaten für neue Me­di­kamente gegen Krebs und andere Erkrankungen. Trotz dieser Vielfalt an vorhandenen Wirkstoffen
gestaltet sich die Weiterentwicklung dieser bioaktiven Substanzen zu neuen Antikrebsmitteln schwie­rig, vor allem, weil die Aufklärung ihrer Wirkungsweise sehr zeitaufwendig und teuer ist. Wis­senschaftler/innen des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie und Partnern an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Universität Dhofar (Oman) ist nun ein großer Schritt  ge­­lungen, diese Hürde künftig besser zu meistern. Mit ihrer modernen Analytik der Zell-Inhalts­stof­fe und KI-basierter Auswertung konnten sie erfolgreich die Wirkungsweise von neuen Anti­krebs­wirkstoffen vorhersagen. Ihre Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift Advanced Science erschienen. 
Krebszellen zeichnen sich durch unkontrollierte Zellteilungen aus, die durch einen extrem erhöhten Zell- und Energiestoffwechsel ermöglicht werden. Für die Bildung von immer wieder neuen Zellen müssen zudem ausreichend DNA-Bausteine und Fette für neue Zellmembranen bereitgestellt werden. Diese abnorme Hochregulierung der zentralen Stoffwechselwege unterscheidet entartete Zellen von nor­malen Zellen und bildet daher einen guten Angriffspunkt für Therapeutika. Die meisten etablierten Krebsmedikamente beeinflussen direkt oder indirekt den hyperaktiven Tumorstoffwechsel, was in der Konsequenz zum Absterben der teilungsfreudigen Zellen führt. Wirkstoffe gegen Krebs können bei­spiels­weise die Aufnahme von Zucker in die Zellen blockieren oder bestimmte Enzyme hemmen, die zur Energiegewinnung gebraucht werden oder die zur Produktion von Fettsäuren unerlässlich sind. Da jeder Zellteilung zunächst eine Verdopplung des Erbguts vorangeht, ist auch die Blockade der DNA-Biosynthese und der Zellteilung selbst ein gutes Angriffsziel für Antikrebsmittel.

Ganz konkret bewirken die verschiedenen Tumor-Inhibitoren, dass die Krebszellen – je nach ein­ge­setz­tem Wirkstoff - bestimmte Zwischenprodukte ihres Stoffwechsels nicht mehr ausreichend bilden kön­nen. Diese Stoffwechselprodukte der Tumorzellen – man nennt sie auch Metaboliten – bilden also in ih­rer Gesamtheit ein ganz spezifisches Muster oder Metabolitenprofil. Die Ermittlung solcher Me­tabo­li­ten­­profile, also die Bestandsaufnahme aller Zell- oder Gewebe-Metaboliten, ist beispielsweise mit mas­sen­spektrometrischen Methoden möglich und wird Metabolomik genannt. Laut Hypothese der Hallen­ser Wissenschaftler sollten jene Wirkstoffe, die in den Krebszellen die gleichen Zielproteine attackieren, dort auch ähnliche Metabolitenprofile hervorrufen. Zur Bestätigung dieser Annahme applizierten sie 38 verschiedene zelltoxische Substanzen mit bereits bekannter Wirkungsweise – darunter einige zurzeit
eingesetzte Krebsmedikamente  - auf Prostatakrebszellen und erfassten anschließend die Metaboliten­pro­file der behandelten Zellen.

Auf diese Weise fand man in der Tat, dass Tumor-Inhibitoren mit gleichen Wirkmechanismen ähnliche Metabolitenprofile hervorrufen und konnte die Metabolitenmuster der behandelten Tumorzellen den ge­testeten Krebsmedikamenten zuordnen. Diese Zusammenhänge zwischen der Wirkungsweise eines Medikaments und dessen metabolischen Fingerabdruck in den behandelten Krebszellen wurden als Trai­ningseinheiten an die KI verfüttert. Anschließend applizierten die Wissenschaftler neue pflanzliche Naturstoffe mit gesicherten krebshemmenden Eigenschaften auf die Prostatakrebszellen und erstellten auch hier die entsprechenden Metabolitenprofile.

Mit Hilfe des maschinellen Lernens konnten sie so die Wirkungsweise der neuen Wirkstoffe sicher vor­hersagen. So blockieren beispielsweise Triterpene wie 11-Keto-β-Boswelliasäure aus dem Weihrauch, die Maslinsäure als Bestandteil des Olivenöls und die Betulinsäure aus der Birkenrinde den Ener­gie­stoff­wechsel der Krebszellen und töten sie damit ab. Die maschinellen Wirkungs-Vorhersagen aus dem Mustertraining des Prostatakrebsmodells wurden anschließend auch an Brustkrebs- und Ewing-Sar­kom-Zellmodellen getestet, wo sie ebenfalls gute, allerdings weniger exakte Vorhersagen lieferten, da die KI nicht an diesen Zelltypen trainiert worden war.

Die Kombination aus Metabolomik und KI ist eine hervorragende Methode, um die Wirkungsweise von zellabtötenden Naturstoffen besser vorherzusagen und damit die Entwicklung von neuen Krebs­medi­ka­menten zu beschleunigen, so das Fazit der Hallenser Wissenschaftler. Das neue Verfahren ist zudem geeignet, die Wirkungsweise von bereits eingesetzten Chemotherapeutika noch genauer zu ver­ste­hen und eventuell noch unbekannte physiologische Wirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medi­kamenten aufzudecken. Das ist besonders hilfreich für den Einsatz von verschiedenen Antitumor­mit­teln bei Kombinations-Chemotherapien. Die Vorhersagekraft dieses Ansatzes wird sich weiter verbes­sern, wenn die Anzahl der Trainingssätze erhöht und auf weitere Trainingsmedikamente und andere Krebszelltypen ausgeweitet wird.

Originalpublikation:
Mohamad Saoud, Jan Grau, Robert Rennert, Thomas Mueller, Mohammad Yousefi, Mehdi D Davari, Bet­tina Hause, René Csuk, Luay Rashan, Ivo Grosse, Alain Tissier, Ludger A Wessjohann & Gerd U Balcke. Advancing anticancer drug discovery: Leveraging metabolomics and machine learning for mode of action prediction by pattern recognition. Advanced Science (Weinheim) 2024 Oct 21:e2404085.
doi: 10.1002/advs.202404085.

Herausgeber: Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie | Pressestelle | Sylvia Pieplow
Weinberg 3 | 06120 Halle (Saale) | E-Mail: spieplow@ipb-halle.de | Tel: +49 (0) 345 5582 1110