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17.05.2016

Sanduhr nach der Keimung

Evodevo ist ein weites Feld. Ein paar Jahre ist es her, dass Marcel Quint die Scientific Community mit seinem Sanduhrmodell der pflanzlichen Embryogenese in Atem hielt. Seine spektakulären Ergebnisse erschienen damals als Coverstory bei Nature.

Zur Erinnerung: Tiere durchlaufen während ihrer Embryonalentwicklung ein Stadium, in dem sich alle Embryonen, seien es die von Elefanten, Menschen oder Eidechsen, rein äußerlich sehr ähnlich sehen. Diese morphologische Ähnlichkeit, vom deutschen Zoologen Karl Ernst von Baer bereits 1828 entdeckt, bezeichnete man rund 150 Jahre später als phylotypisches Stadium - eine Phase, die von allen Tieren etwa in der Mitte ihrer Embryonalentwicklung durchlaufen wird. Vor und nach dem phylotypischen Stadium, also in der sehr frühen und der sehr späten Embryonalphase sehen die Tierembryonen unterschiedlich aus. Etwa zur gleichen Zeit, in den 80-er Jahren, entwickelte man eine Visualiserung dieses Modells, bei der die Ähnlichkeitsphase mit der Engstelle einer Sanduhr verglichen wurde. Erst im 21. Jahrhundert, nämlich 2010, fand man dann zu dieser morphologisch-äußerlichen Ähnlichkeit das genetische Pendant. Demnach werden im phylotypischem Stadium nur die evolutionär alten, hochkonservierten Gene aktiviert, während in den anderen Stadien außerhalb der Engstelle eher evolutionär jüngere Gene angeschaltet werden. Dieses Sanduhrmodell wurde 2012 von Marcel Quint und Ivo Grosse (Martin-Luther-Universität) auch für die Embryonalentwicklung von Pflanzen nachgewiesen, was beiden Wissenschaftlern goldene Früchte bei Nature einbrachte.

Inzwischen ist Marcel Quint Professor an der Landwirtschaftlichen Fakultät in Halle, aber das Sanduhr-Thema ließ ihn nicht los. Jüngste Erkenntnis auf diesem Gebiet: Pflanzen passieren nicht nur während ihrer Embryonalentwicklung, sondern auch später, nach der Keimung, noch zweimal die Engstelle der Sanduhr, einmal während der Keimung und einmal in der Übergangsphase zur Geschlechtsreife. In beiden Phasen werden die evolutionär jungen Gene kurzzeitig stillgelegt und nur die alten Gene sind aktiv. Dies wurde von den Hallenser Wissenschaftlern, unter ihnen Julia Bellstädt vom IPB, an Arabidopsis nachgewiesen (Molecular Biology and Evolution 33(5): 1158-1163, 2016).

Warum das so ist, versteht man noch nicht. „In der Embryonalentwicklung bei Tieren vermutet man, dass an der Engstelle der Sanduhr, die alten, konservierten Gene deshalb so aktiv sind, weil in dieser Phase der Entwicklung alle wichtigen Organe des tierischen Organismus angelegt werden“, sagt Marcel Quint. Die Natur scheint hier einem uralten evolutionären Bauplan zu folgen, nach dem die lebenswichtigen Organe zeitlich und räumlich miteinander gekoppelt gemeinsam angelegt werden.

Obgleich Pflanzen während ihrer Embryogenese auch dem Sanduhrmodell folgen, werden bei ihnen in der Embryonalphase keine lebenswichtigen Organe angelegt. Im Gegenteil: Die Organe der Pflanzen, wie Blätter, Wurzeln und Blüten entwickeln sich erst nach der Keimung, also quasi nach der Geburt. Auch während der Keimung und der Geschlechtsreife werden keine Pflanzenorgane angelegt, dennoch greift hier das Sanduhrmuster mit der Aktivierung der alten Gene. Bei der Blütenbildung hingegen, wo tatsächlich neue Organe gebildet werden, ist kein Sanduhrmuster zu verzeichnen; hier sind, wie sonst auch, die jungen Gene aktiv und nicht die alten. „Bei Pflanzen scheint das Sanduhrmodell nicht mit der Organbildung gekoppelt zu sein“, erklärt Professor Quint. Vielmehr habe sich wohl das Sanduhr-Prinzip der zeitweisen Abschaltung der jungen Gene bei Pflanzen und Tieren unabhängig voneinander entwickelt. Quint vermutet auch, dass das Sanduhr-Modell ein ganz grundlegender Prozess der Evolution ist, der auch mit der Organbildung bei Tieren nur zufällig etwas zu tun hat. Vielmehr scheint das ein ganz elementarer Vorgang der Evolution zu sein, der immer in bestimmten Übergangsphasen der Entwicklung aktiviert wird.

Spannend und noch zu klären sein, wird jetzt die Frage, ob diverse Sanduhrprozesse auch bei Tieren nach der Geburt noch stattfinden, wie beispielsweise bei Geschlechtsreife, Klimakterium oder Tod.

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